Geschätzte Paternosterfahrer,
ich wollte ja eigentlich auf Urlaub fahren und nach diesem ereignisreichen ersten Halbjahr meine heilige Ruhe haben, aber folgende Geschichte ist so unglaublich, dass ich sie nicht für mich behalten kann. Ich sag’s euch: Wer das Drehbuch für mein Leben geschrieben hat, muss ein äußerst talentierter Autor sein.
Es hat eigentlich recht harmlos begonnen: Meine Frau und ich fahren in unsere Sommerresidenz ins Salzkammergut. Wir brauchen dafür nicht viel Gepäck, das passt alles in meinen 911er, und also flitzen wir los. Kurz vor Amstetten bittet sie mich, kurz anzuhalten. Gesagt, getan. Wir halten. Während sie die Toilette aufsucht, begebe ich mich ins Restaurant, um einen Espresso zu konsumieren. Und als ich gedankenverloren in der Schlange stehe – ein Meter Abstand zum Vordermann strikt einhaltend, mit Mund-Nasen-Schutz bekleidet, also beinahe unkenntlich –, klopft mir jemand von hinten auf die Schulter.
Ich dreh mich um: ein junger Mann mit Kurzhaarschnitt schaut mich an und sagt: „Na, kennst mich nimmer? Oder willst mich nimmer kennen?“ – Ich runzle die Stirn, muss kurz überlegen, aber die Stimme kommt mir bekannt vor: „Jan?“, stammle ich. – Darauf er: „Ja richtig, dein Gedächtnis funktioniert ja eh.“ – Wahrlich, wahrlich, da steht doch der leibhaftige Jan Marsalek, Ex-Vorstandsmitglied der Wirecard AG vor mir – auch mit einer Maske vor dem Mund, auf der ein grinsender Clownmund zu sehen ist, die an den Joker erinnert, ihr wisst schon, die Figur aus dem Film „Batman“.
Meine Verwunderung kann ich nicht verbergen: „Ich, ich“, ich stottere vor innerer Erschütterung, „ich dachte, du wärst in Russland!“ – „Nein“, sagt er, „siehst ja, ich bin da. Wollt grad nach München, noch ein paar Sachen holen.“ – „Aber“, wieder stockt meine Stimme, „aber wie gibt’s denn das. Du wirst ja per internationalen Haftbefehl gesucht! Du traust dich aber was.“ – „Wurscht“, sagt er, und ich kann sein Grinsen aus der Stimme hören, „mit dem Mundschutz erkennt mich eh keiner.“ – „Was, wie, warum?“, frag ich, „was stellst du dir vor? Ich muss das melden, dass ich dich getroffen hab.“ Da lacht er laut auf und kichert und krächzt. „Was ist da so lustig?“, frag ich, „ich mach mich ja strafbar, wenn ich das nicht melde.“
Da beruhigt er sich schnell wieder, beugt sich zu mir her und flüstert beinahe: „Du kannst melden, was du willst. Die werden alles unternehmen, um mich nicht zu kriegen. Und weißt du auch, warum?“ – Ich schau ihn fragend an, und weil meine Stimme komplett versagt, erteilt er mir gleich selbst die Antwort: „Weil wenn ich gefasst werde, dann geht hierzulande eine Bombe hoch, dann tanzt der Bär. Vertrau mir, mir passiert da gar nix.“ – „Tuan S’ weiter, “, sagt ein bulliger Lkw-Fahrer hinter uns, „eichare Unterhoitung kaunn i ma et leistn.“ Ich wende mich also der Kaffeemaschine zu. Und als ich meinen Espresso auf dem Tablett habe, dreh ich mich noch einmal zum Jan um. Da zwinkert er mich an und sagt: „Also tschüss dann. Mach’s gut, und weißt eh:“ – Er grinst mich frech an und beginnt den „Fraggles“-Song zu singen: „Sing und schwing das Bein, lass die Sorgen Sorgen sein …“
In diesem Sinne,
„Cash up!“
Der Börsianer