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Das Ende: Frohe Weihnachten

Insider Nº222 / 15 23.12.2015 Kommentar

Geschätzte Paternosterfahrer,

die Tage des alten Jahres sind bald gezählt. Ich muss gestehen, der Umstand macht mich zum ersten Mal in diesem Jahrhundert nicht wirklich sentimental. Im Gegenteil, nach all den zum Teil schrecklichen Ereignissen, die uns 2015 sowohl auf der Weltbühne als auch auf dem Finanzparkett beschert hat, kann ich das neue Jahr schon gar nicht mehr erwarten. Ich sag’s, wie’s ist. Und bevor noch etwas Unerwartetes passiert, möchte mich von euch, geschätzte Paternosterfahrerinnen und Paternosterfahrer, in den, wie ich meine, hochverdienten Urlaub nach Lech am Arlberg zum Skifahren verabschieden. Man gönnt sich ja sonst nichts. Da ich Weihnachten traditionell mit der Familie verbringe, was mir die seltene Möglichkeit beschert, meine beiden Töchter, die in Harvard studieren, zu Gesicht zu bekommen, werde ich zumindest bis in die erste Jännerwoche meine Kommentare auf der Seite von ‚DerBörsianer‘ ruhen lassen.

An diesem Punkt will ich euch aber, die ihr meine Zeilen mit Interesse verfolgt und in Leserbriefen kommentiert habt, erst einmal für euer reges Interesse danken. Wer hätte schon vor knapp zehn Monaten angenommen, dass diese verwirrende Auf-und-ab-Fahrt mit dem Hannes Androsch mit dem Paternoster im Haus der Industriellenvereinigung (ich habe davon in meinem ersten Kommentar am 26. 2. 2015 berichtet) eine derartig nachhaltige Wirkung zeigen würde: Dem Hannes sei hier ein besonderer Dank ausgesprochen. Ohne seinen Anstoß wäre diese Kommentarreihe nicht zustande gekommen.

Resümierend muss gesagt werden: Das vergangene Jahr war kein besonders berauschendes. Neben der Griechenland-Krise gesellte sich die Ukraine-Krise dazu, die von den schrecklichen Attentaten in Paris vom Jänner und November medial zurückgedrängt wurden, um von der Flüchtlingskrise, die uns seit den Sommermonaten Schlagzeile um Schlagzeile beschert, überdeckt zu werden. Dabei ist fast untergegangen, dass das anhaltende Zinstief und massive Regulierungen sowie Eigenkapitalvorschriften für den internationalen wie heimischen Finanzmarkt kein Lercherlschas waren. Ob die nunmehrige Anhebung des US-Leitzinses mehr helfen wird als Bachblüten, wird sich zeigen. Denn, wie unser Willibald Cernko in der traurigen Pressekonferenz zu den Sparplänen seiner Bank Austria verdeutlicht hat, es ist das Marktumfeld ein anderes geworden, und auch das Kundenverhalten verändert sich stetig. Zudem betreten andere, innovative Player den Markt. Der Margendruck steigt, und obendrein rächen sich nun Fehler der Vergangenheit. Seid’s mir nicht bös, aber alles zusammen macht keinen schlanken Fuß.

„Was der alles hat“, dachte man zu Beginn der Amtszeit von Hans Jörg Schelling. Was haben wir nicht alle auf unseren neuen Finanzminister gesetzt. Himmelhoch jauchzend wurde er begrüßt: endlich jemand, der die alten Strukturen aufbricht. Leider konnte er die Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, nicht erfüllen. Eine große Lippe (der Minister versäumte kaum eine Möglichkeit, bei Branchenevents zu glänzen) lässt immer Skepsis aufkommen. Die Finanztransaktionssteuer greift nur, wenn sie global verhängt wird. Die Registrierkassenpflicht als Gegenfinanzierungsmaßnahme in Sachen Steuerreform wird von den Unternehmen eher als unnötige Gängelei empfunden denn als wirksames Instrument, mit dem es sich alle gemütlich einrichten können. Österreich ist halt kein Möbelhaus.

Damit bleibt mir noch am Ende dieses letzten Kommentars für heuer ein paar Wünsche für das nächste Jahr ans Christkind zu richten: Liebes Christkind, sei doch bitte einmal konstruktiv und verzichte heuer auf die Socken und die selbstgestrickten Pärchenfäustlinge, sondern gib uns allen die Vernunft, die Weitsicht und die Kraft, getroffene Entscheidungen zu überdenken und mit demselben Verve Fehlentscheidungen revidieren zu können, wie sie getroffen wurden. Bedacht statt Schnelligkeit, Augenmaß statt Überreglementierung und Taten statt ideologische Grundsatzdiskussionen wünsche ich mir im neuen Jahr. Die Prognosen der Wirtschaftsforscher lassen ein wenig Hoffnung zu. Nutzen wir also dieses offene Türl und geben wir Gas, gemeinsam, ohne Vorbehalte, in einer offenen Diskussionskultur mit sachlichen Argumenten und vor allem ohne ideologische Gräben. Wir gestalten jetzt und heute unsere Zukunft und die unserer Kinder. Wir haben die Wahl.

Die Herausforderungen sind nicht zu unterschätzen: Der Klimawandel ist nicht mehr zu leugnen, Naturkatastrophen ereignen sich häufiger und heftiger denn je, und die europäische Erfolgsgeschichte (sie ist Friedensnobelpreisträgerin) steht angesichts des Zugewinns populistischer und radikaler sowie antieuropäischer Parteien auf dem Spiel. Nur ein stabiler Finanzmarkt garantiert eine stabile wirtschaftliche Entwicklung und damit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ein Gefühl der Sicherheit. Durchdachte Lösungen, und mögen sie auch etwas länger dauern, sind dem Standort Österreich zuträglicher als schnelle optische Korrekturen. „Wir schaffen das“, hat Angela Merkel propagiert. Ich stimme dem bei. Ich will nur ergänzen: „Wir müssen das schaffen!“ Denn wir tragen die Verantwortung, das zu erhalten, wofür unsere Altvorderen gekämpft haben: für Frieden in Europa und gegenseitigen Respekt und Anerkennung der einzelnen Nationalstaaten. Das sollten wir uns erhalten.

Mir bleibt nur, euch Paternosterfahrerinnen und -fahrern geruhsame Feiertage zu wünschen, eine frohe Weihnacht sowie einen guten Jahreswechsel.

In diesem Sinne,

„Cash up!“

Der Börsianer

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