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Pierer bewegt: Stillstand am laufenden Band

Insider Nº232 / 17 8.8.2017 Kommentar

Geschätzte Paternosterfahrer,

neulich strampel ich mich wieder einmal bei Holmes Places am Börseplatz in Wien ab, um den Speck vom Strandurlaub loszuwerden. Da spul ich auf dem Laufband meine fiktiven Kilometer herunter, und während ich so renne und auf das Display vor mir achte, auf dem Kilometer und Kalorien usw. angezeigt werden, versinke ich in Gedanken: Du läufst hier nur scheinbar eine bestimmte Strecke und verbrennst dabei Kalorien, denke ich bei mir, die du verbrannt hättest, wenn du dieselbe Strecke in demselben Tempo tatsächlich laufend zurückgelegt hättest. Denn in Wahrheit kommst du ja kein bisschen vom Fleck, denke ich, und dennoch misst du akribisch genau die Kilometer, die du ohne Laufband zurücklegen müsstest, wenn du so viele Kalorien verbrennen möchtest, wie du auf dem Laufband buchstäblich verbrennst. Es tut sich augenscheinlich rein gar nichts, so lautet meine Schlussfolgerung, und dennoch kommen messbare Ergebnisse zustande. Folglich entsteht auch im Stillstand eine Wertschöpfung.

Du könntest dieses Paradoxon durchaus als produktiven Stillstand bezeichnen, bildlich gesprochen: Man läuft auf dem Stand und hält damit die Erdkugel am Rotieren, sinniere ich, ja, vielleicht wäre dies auch schon ein wirtschaftswissenschaftlicher Lösungsansatz für die gesellschaftlichen Folgen der Industrie 4.0, denke ich, und schon erfasst mich eine seltsame, von Endorphin geschwängerte Euphorie ob meiner hochtrabenden Gedanken, die ich hier am laufenden Band entwickle – wunderbar.

„Furchtbar!“, ertönt die Stimme meines Nachbarn, den ich erst jetzt durch seine lautstarke Wortmeldung wahrnehme: Neben mir rennt der Stefan (Pierer), seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der österreichischen Zweiradschmiede KTM Industries AG und Vizepräsident der Industriellenvereinigung, ebenso auf einem Laufband. Und er rennt um ein Vielfaches schneller wie ich und keucht auch dementsprechend. „Furchtbar!“, stößt er wieder aus, „meinst nicht auch, Gekko?“

Ich renn weiter und suche den Anschluss: „Ja was ist denn so furchtbar?“, frage ich hechelnd, um die Phase der Unsicherheit abzukürzen. „Furchtbar!“, stößt der Stefan aus, „dieser Stillstand ist doch furchtbar, dieser alles lähmende, aufbruchsfeindliche Stillstand in dem Land, verstehst, der ist furchtbar“, echauffiert er sich sichtlich, um sich gleich darauf noch mehr hochzuschaukeln: „Man sieht ja, es geht nichts weiter, die Reformen stocken, das Land befindet sich im Würgegriff der Administration, Compliance-Richtlinien aus Brüssel werden an der Wiener Börse übereifrig umgesetzt, so wird ein investitionsfeindliches Klima geschaffen, es herrscht Stillstand, wohin man schaut, der Staat und seine Strukturen müssen abspecken, verstehst, abspecken, abspecken, das Land braucht mehr Flexibilität und Bewegung, verstehst, mehr Bewegung, sonst herrscht Stillstand. Und wenn du dann was sagst oder für eine neue Bewegung spendest, heißt es gleich Ausbeutung, Neoliberalismus usw. Aber schau dir nur uns beide an, wir treten auf der Stelle.“

Wir rennen ein paar fiktive Meter weiter. Stefans Haare wiegen sich im Rhythmus seiner Schritte. Er blickt nach vorn, energiegeladen, dynamisch. – „195!“, ruft plötzlich der Stefan aus. Mir geht derweil schön langsam die Luft aus. – „Was meinst?“, frag ich keuchend. „Na die Kalorien“, sagt der Stefan erstaunlich ruhig, „195 Kalorien in zehn Minuten hab ich jetzt grad verbrannt, das ist mein Bestwert.“ – „Heureka“, schnauf ich, „es funktioniert! Bestwert bei Stillstand!“

In diesem Sinne,

„Cash up!“

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